Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen

Oder: Wieso ist es so schwer einmal rechts abzubiegen?

Beim ersten Mantrailing-Seminar des Jahres ist die Hoviline nach dem ersten Tag mit dem Jungspund um die Wette gelaufen und stocklahm nach Hause gehumpelt. Also blieb die Hoviline zuhause, und wir haben an den folgenden Tagen dem Jungspund neue Dinge gezeigt. Vom ersten Untergrundwechsel, dem Geruchsartikel im Busch, der ersten Querung einer nicht befahrenen Straße ist die Kleine begeistert und ich von ihr. Die Trainerin sowieso: Keine schwierigen Probleme zu lösen, die sich über die Zeit eingeschlichen haben, alles noch neu und unverdorben.

Am vergangenen Wochenende mit Christoph Rosenberger aus Wien war die Große heil, und wir durften richtig üben. Unser Thema war kein Ghost-Trailing, gruselig, weil der Hund gelernt hat, auszusehen, als wäre er noch auf Trail.
Ich führe auch keinen ständig pinkelnden Rüden, der mich in den Wahnsinn treibt, hormonell begründet oder zum Abbau von Stress. Meine Hoviline arbeitet schön, meine ich, auch wenn sie auf Grund ihrer ersten verkorksten Ausbildungszeit gerne auf Hochwitterung umschaltet, den Trail verlässt und genial wird oder hoffnungslos im Nirwana herum irrt. Nein, ich will nur lernen, meinen Hund richtig gut unterstützen.

Ein erster, quasi diagnostischer kurzer Trail führt durch Wald und Heide. Im Endpool biege ich ab, weg vom Runner und folge der Hoviline bzw. schiebe sie vor mir her, ganze hundert Meter weiter, bevor wir abbrechen. Fazit des Trainers: Viel zu schnell sei ich gegangen bei der letzten Richtungsentscheidung. Ob ich die zweite Verhaltensänderung nicht bemerkt habe? Mein erstes Ziel für die kommenden Tage heiße, meinen Hund nicht so sehr zu behindern. Oh je, vom Unterstützen reden wir erst mal nicht mehr.

Zum Nachmittag parken wir die Autos um und arbeiten auf dem Parkgelände eines Psychiatrischen Krankenhauses. Der Weimaraner geht nach fünf Metern nur noch zum nächsten Kompost und wird ins Auto gepackt. Im Einsatz, ja, da wäre das Finden einer vermissten Person das Wichtige. Der Hund würde unterstützt, etwa im Kreis geführt zur Wiederaufnahme eines Trails. Aber jetzt, jetzt wird trainiert! Der Hund soll selbständig arbeiten und lernen Probleme eigenständig zu lösen. Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen.
Die kluge Magyar Viszla-Hündin ackert sich über die Auffahrt und findet Geruchspartikel in den ausgetrockneten moosigen Ritzen der Pflastersteine, kämpft an schattigen Erdhügeln mit ihrer übergroßen Genauigkeit und gruselt sich dann, zu dem Runner in die Hecken zu krabbeln. Geschafft, ohne dass der Hundeführer eingreifen muss. Wir sind als letzte dran. Links und rechts im Gelände die Trails der vorigen Hunde, denen wir alle beim Arbeiten zugeschaut haben, das bedeutet Ablenkung und alte Spuren bekannter Personen rundherum. Nach einem schönen Start verlegt die Hoviline sich auf die hoch getragene Nase und der Trail wird nebensächlich. Die Pflegekräfte in ihrer Kaffeepause, die ihre Begeisterung über den schönen Hovawart äußern, die Patientin , die sich klopfend an der Glasscheibe freut über die Abendunterhaltung, sie lenken ab. Wir kommen zwar an, aber die Aufgabe für den nächsten Tag steht. Spurtreue für den Hund, deutlich mehr Ruhe für mich. Langsam, noch langsamer soll ich sein. Der Trainer bescheinigt mir hohe Anspannung: „Das merkt dein Hund ja auch, das macht es ihr unnötig schwer.“ Ups, meine Betriebstemperatur ist zu hoch, wie immer eigentlich. Aber wenn es dem Hund schadet, tja, dann muss ich wohl daran arbeiten.

Abends bin ich supermüde, und am nächsten Morgen komme ich nach einer guten Stunde Fahrt zu spät zur Uni Flensburg. Sie bietet wechselnde Untergründe, immer windig zwischen den hohen Gebäuden,  mit Wasserläufen, dazu Ablenkung und Geruchskontamination durch Spaziergänger mit und ohne Hund.

Weimaraner Nr. 2 wird wunderbar ruhig geführt und verschwindet zwischen schultertiefen Nesseln und Disteln. Super gesucht und gefunden: „Wenn mein Hund ohne jegliches Unterfell da rein will, dann weiß ich, wir sind richtig.“ Die kluge Magyar Viszla kriegt einen Trail, der von ihrem Muster abweicht, und es folgt ein Abbruch. Wir alle kommen in der Hälfte der Fälle an, und der Abbruch ist kein Scheitern, sondern wertvolle Erfahrung. Die Trails sind kurz. Warum eigentlich? Damit der Hund ein Element lernt und kurz nach der Lösung des Problems bestätigt wird. Es ist wie immer. Komplexe Übungen verwirren den Hund. Jede Aufgabe will aufgegliedert gelöst werden, bevor man sie zusammensetzt. Und dafür, für fünf Minuten an langer Leine hinter meinem Hund her gehen, dafür bezahlt man 20 bis 25€? „Nein“, sagt Christoph. „Ich werde bezahlt für das, was ich kann, was ich dir beibringe, und dafür, dass ich den Hund vernünftig trainiere. Beim Training für die Begleithundeprüfung ist es auch nicht so, dass du immer wieder das ganze Programm übst.“ Stimmt, nur kann ich da einzelne Elemente selbständig üben bis zum nächsten Treffen mit dem Trainer.
In Teilen funktioniert das auch beim Trailen.Mindestens Proximity, also den Endpool, das kann ich bei der Suche nach dem Futterdummy üben. Das Prinzip ist gleich. Für das Leinenhandling, die Alltagserziehung, die Unterordnung, da brauch ich keinen Trailer für.

Ich bin neugierig: Und warum funktioniert bei anderen Menschen und Hunden das Antrailen an der 2,50 m kurzen Alltagsleine? „Es funktioniert nicht“, sagt Christoph. „Klar, der Hund riecht etwas, und wenn ich ihn oft genug und weit genug führe, dann wird er finden, auch ohne Probleme zu lösen.“ Nur trailen sei das nicht. Auch bei Einsätzen sei es oft so, dass der Mensch irgendwann zu findende Person sehe. Nicht jeder Fund sei der Fund des Hundes.

Und ich? Ich lerne, dass meine Hündin sich Pipistellen zuwendet, wenn sie den Trail bereits verlassen hat. Dass ich mit einem „Hey!“ unterbreche und sie zum Trail zurückkehrt, wenn ich stehenbleibe, und ich sie mit einem „Weiter!“ in Richtung meiner Zehenspitzen weiterschiebe. Aber sie sah doch aus wie auf Trail? „Nee“, das hätte Christoph dann gerne eindeutiger, engagierter, um es glauben zu können: „Deine Hündin weiß doch, wie du sie arbeiten sehen möchtest.“ Oh nein, das Ghosttrailing möchte ich ja nicht üben. Nachmittags gelingt es uns. Die Hoviline zeigt an, dass sie über eine Baugrube möchte, direkt dahinter ist der Weg. Für mich keine Chance. Wir gehen zurück zum mit Baufahrzeugen vollgestellten Innenhof, und sie läuft penibel mit tiefer Nase alle Um-Wege des Runners, über das rutschige Aluminiumdach, durch die Hecken und findet drei Meter entfernt von dem für mich unüberwindlichen Baugraben. Ach, was ist das schön.

Am dritten und letzten Tag sind wir im Industriegebiet unterwegs. Überwiegend harter Untergrund, Wind, Wärme. Ich laufe am Start zu schnell hinterher, damit die Leine sich nicht an der Hauskante bricht und schiebe den Hund gerade aus. Wir finden zurück und nach einem kurzen Kreiseln über die geteerte Kreuzung verschwindet der Hund im Gebüsch, kommt nicht zurück, möchte da lang und  - frisst Dreck. Oh Mann, raus da! Erst als wir im weiten Bogen kreiseln, schalte ich, dass mein Hund keinen Dreck gefressen hat, sondern genau richtig war. Da stehe ich im tiefen Graben, komme nicht mehr weiter, die Leine verknotet sich im Gebüsch, sie zeigt noch mal an, und ich dumme Nuss bestehe auf dem Rückweg bis hin zu meiner Fehlentscheidung. Jetzt will der erschöpfte Hund nicht mehr. Wenn ich eh alles besser weiß … Ok. Was heißt das fürs nächste Mal? Nicht um die Ecke hinterher rennen. LANGSAM. Hatten wir da schon drüber gesprochen? Und: Korrigier deinen Hund nur, wenn du auch weißt, was er tut.
Ich hab ein schlechtes Gewissen und bin enttäuscht. Jetzt hat sie so schön gearbeitet. Spurtreu. Alles, was sie sollte.

Ein letzter Trail ohne neue Aufgaben, keine Probleme, die noch schnell zu beseitigen sind. Bei der GPS-Aufzeichnung im Nachhinein sieht alles ganz einfach aus, 400 Meter lang und einmal rechts abbiegen. Tja, das Ansetzen erfolgt am Rand des Grünstreifen, der Trail verläuft über offene, gepflasterte Flächen, der Wind drückt den Geruch in Hinterhöfe, die Hoviline steht auf freier Fläche und zeigt überall ein Negativ. Was tun? Als Christoph mich auffordert, ruhig und mit kurzer Leine stehen zu bleiben, dreht die Hoviline die Nase wie eine Kompassnadel und - findet in einem Blechverschlag mitten auf der offenen Fläche.

Was ist noch zu sagen? Mantrailing ist teuer, super aufwändig und zeitintensiv.
Ich werde es nie im Ernstfall einsetzen.
In drei Tagen hab ich so viel gelernt wie im letzten Jahr nicht.
Es ist ein ehrlicher Sport. Verstecken gilt nicht.