Morgenstund

Der Müllwerker hat schon um 5 angefangen, um „einen Vorsprung dem LKW gegenüber rauszuholen“: Komposttonnen am Straßenrand positionieren, rein gucken, ob sie richtig befüllt wurden, sich eine Wolke warmen Dunst abholen, zuklappen und weiter atmen, weiter gehen. Die Hoviline und ich sind ebenfalls wach und wir gehen um 6 zur Germaniakoppel mit Blick über die Kieler Förde.

 

„Hallo, hallo, siehst du uns, wir sind schon ganz lange auf!“ Die beiden Kinder sind äußerst gut gelaunt, vielleicht drei und vier Jahre alt. Ich winke zurück. Die Mutter guckt mit aus dem Dachflächenfenster: „Die haben durchgemacht.“ Mein: „Na, vielleicht können Sie heute Nachmittag sich ein bisschen hinlegen.“ quittiert sie schrillem Gelächter. Oh je.

 

Auf der Wiese angekommen scannt die Hoviline, ob die dummen Junghasen schon wieder überrascht tun, wenn wir uns nähern, in die Mitte der freien Fläche laufen und dort Männchen machen, ob wir immer noch da sind. Auf dem Weg zum Fähranleger werden wir vielleicht wieder die Frau treffen, die uns auf die Pelle rückt, um zu rufen, dass sie Angst vor Hunden hat. Zumindest könnte man den Eindruck gewinnen, dass sie näher an uns heran tritt, um eben das zu tun. Wahrscheinlich will sie nur schnell zum Boot und wir sind im Weg. Stattdessen treffen wir den Labrador-Mix, der hinter dem Mountainbike her rennt und ausgepowert werden muss, bevor das Frauli zur Arbeit geht. Etwas ruhiger kommt uns mit großen Schritten und zappendusterer Sonnenbrille die über 70-jährige Nachbarin entgegen. Auch sie kreist jeden Morgen an der Förde. Danach geht sie schwimmen.

 

Ich bin nicht sicher, ob der Mann, der jeden Morgen mit Blick auf die Hochbrücke gegenüber am Strand parkt, laufen kann. Rauchen kann er und freundlich grüßen. Ausgestiegen ist er noch nie. Er öffnet das Fenster und guckt raus.

 

Wenn es kalt ist, dann stehen die Angler gerne brusttief in der Förde, ansonsten nur bis zur Taille. Die Angelschnur kreist minutenlang wie ein Lasso, der Köcher hängt auf dem Rücken, ab und zu wärmt sich einer im Auto auf. Bei den Joggern scheiden sich die Geister. Grüßen oder nicht grüßen? Manche gucken verbissen gerade vor sich. Alle ziehen sie die Schultern zu den Ohren und atmen ohne Bauch und unteren Brustraum. Eine Frau joggt in Begleitung eines persönlichen Trainers, zumindest steht das auf seinem T-Shirt. Die Schultern sind oben und er setzt die Füße mit erhobenen Knien wie ein Graureiher.

 

Die Walkerin mit dem wild gemusterten T-Shirt trägt undichte Kopfhörer. Es dudelt, ohne dass ich sagen kann, was denn nun zu hören ist. Der Oberkörper wackelt rhythmisch von links nach rechts. Der alte Mann, der die Strecke in der Gegenrichtung nimmt, läuft aus gesundheitlichen Gründen konzentriert an zwei Stöcken. Er hört nicht gut, lächelt immer und ist der einzige, der mal mit, mal gegen den Uhrzeigersinn sich bewegt. Die zwei Frauen, die mir entgegen kommen, hatten früher auch Hunde. Bei dem Hovawart musste man die Leine immer um die Bäume wickeln, jawohl. Die Hunde sind jetzt alle tot, und plauschend ziehen die beiden weiter. Der Hund des nächsten Joggers lebt noch, läuft brav nebenher und alles könnte schön sein, wenn der Kerl nicht so offensichtlich angepisst wäre, dass auch mein Hund noch lebt und läuft und Sauerstoff verbraucht. Gut, dass der nicht jeden Tag hier ist.

 

Das Tragen der Sonnenbrille auch vor 7 Uhr bei bedecktem Himmel scheint der höheren Altersgruppe vorbehalten. Die krumme kleine Frau mit dem Turban und dem gleichen Modell wie Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ joggt nicht wirklich, das aber regelmäßig. So ähnlich stelle ich mir Rumpelstilzchen vor, das durch`s Feuer hüpft. Die letzten Tage hat sie einen orangefarbenen Kotbeutel mit geführt. Gestern Morgen sah ich sie versonnen Brombeeren pflücken und darin verstauen. Uih, so hartgesotten bin ich nicht. Nicht lebensmittelechtes Plastik und dann noch die Assoziationen der Hundeführerin.

 

Am Strand sammelt ein junger Mann mit Rastalocken und verschleierten Augen Müll von der Party, deren Musik wir in der Ferne die ganze Nacht gehört haben. Das dünne Mädchen vor dem Zelt tanzt und hüpft immer noch, als hätte Zeit keine Bedeutung.

 

Der Hecken schneidende Gärtner findet es gut, früh anzufangen, dann hat er ab Mittag Zeit für Frau und Kinder. Ab sieben ziehen sich die Rehe zurück, der erste Berufsverkehr zur Logistikfirma ist auf der Strecke und gleich darauf kommen mir auch im Pulk die Rad fahrenden Schulkinder entgegen, gelegentlich gefolgt vom Lastenfahrrad, das mehrere von den Kleinen transportiert. Die jüngeren Schulkinder sammeln sich für den laufenden Schulbus zur Grundschule und die Frau, die ihre Tochter zum Treffpunkt begleitet und letztes Jahr keinen Hund wollte:„…auf gar keinen Fall, obwohl die Kinder doch … und am Schluss bleibt doch alles an mir hängen…“, muss heim zu dem kleinen Welpen.

 

Der Gartenbauer hat die Ladefläche schon um 8 voll mit Schnittgut. So geht es weiter bis Dezember, sagt er. Mit dem ersten Frost wird es wieder ruhiger. Auf den letzten Metern des Heimweges kommt mir der Lieferwagen vom Biohof entgegen. Wir haben es schon schön hier. Das sagen die Norddeutschen, und es stimmt.