Die Phase der sozialen Reife

 

Abilene geht nun ins dritte Jahr, grad ist sie in den Stehtagen der zweiten Läufigkeit. Bisher waren wir hormonell weitgehend verschont am anderen Ende der Leine. Aber nun tänzelt sie, der eigenen Schönheit voll bewusst, oder steht selbstvergessen auf der Wiese und lutscht wohl duftende Grashalme ab. Die Welt ist schön. Und wir passen auf. Haben eine zweite Leine dabei, gehen einsame Waldwege.

 

Auch bei der Hundeführerin ist die Phase des respektvollen Staunens über jede Weisheit des erfahrenen Vereinsmitglieds, des Respektes vor Ratschlägen der wohlmeinenden Gassigeh-Hundebekanntschaft im Nachlassen begriffen. In zwei Vereinen und bei diversen Zufallsbekanntschaften hatte ich Anschauungsmaterial über die Welt Mensch-Hund.

 

Und nun? Da scheidet sich die Spreu vom Weizen, mancher Zweifel wird zur Gewissheit: Mit dem kannst du reden, der gehst du besser aus dem Weg, und der weiß wirklich was, die lässt du einfach quatschen, da hast du Respekt, der ist zuverlässig und lässt dich nicht sitzen. Genauso wenig wie in einem Zoo ein echtes Wolfsrudel beisammen sitzt, ist auch ein Hundeverein kein funktionierender Familienverband: Nicht unter den Hunden, die sich bei Unverträglichkeit von ihren Menschen begrenzen lassen müssen, anstatt sich mal gegenseitig zu zeigen, wo der Hammer hängt. Und nicht unter den Menschen: Bei manchen könnte ich an der guten Sozialisierung zweifeln, bei vielen an der guten Kinderstube.

 

Was wir von unseren Hunden erwarten, ist die angemessene Begrüßung. Ausgesprochen unerfreulich, wenn dem Menschen bei der Begrüßung zum gemeinsamen Spaziergang nur wegen des Winterwetters nicht die blanke Kehrseite gezeigt wird, wenn der Platz mit großem Hallo und reichlich Verspätung gestürmt wird, ohne das OK der Trainerin zu abzuwarten. Im schlimmsten Fall wird dann weiter laut quatschend oder pseudoleise (in meiner DVD „Fremdsprache Hündisch“ heißt dies „aktive Demut“) die Konzentration aller Übrigen gestört, während das andere Ende der Leine schon mal fixierend die Lage peilt.

 

Daneben finde ich auch manche Kaffeepausen: „Es stört euch doch nicht, wenn mein kleiner Wauzi hier mal eben frei läuft.“ Dieses Statement ist kaum höflicher als das stumme Schaffen von Tatsachen. Und ja, ich finde die Regel „Hunde bleiben draußen“ gut. Nein, ich möchte meinen Kaffee im Vereinsheim trinken ohne 10, 15 Hunde unter`m Tisch, deren Besitzer nicht genau genug nach ihnen schauen. Man möge mir verzeihen oder auch nicht: Das ist meine soziale Reifephase, da darf ich denken, was ich will. Der kleine Wauzi , der im Sommer ständig meine Junghündin anrammelte, trifft in meinen kühnen Träumen auf das kommunistische Känguru.

 

Die Fachsimpeleien. Über andere Hunde und Leute reden, das gehört wohl dazu. Ich sage auch, welcher Hund mir sympathisch ist, mir gut gefällt oder nicht so gut, stelle gerade als Neuling blöde Fragen. Immer noch. Manchmal krieg ich auch ´ne blöde Antwort. Unter den Zuchtinteressierten birgt die Diskussion, welche Verpaarung nun wie glücklich gewesen wäre, wenn denn nur …Grund für endlose, tiefgreifende und zutiefst befriedigende Spekulationen. Auch im Hundesport wird gefachsimpelt und sich ausgetauscht.

 

Wenn es dann ins Tratschen umschlägt, tja, das kann noch nett sein, liebevoll, aber irgendwann, da kommt der Zeitpunkt, wo ich auf der Hundewiese mich entscheiden muss, ob ich mit Abilene gehe, solange es am schönsten ist, oder aber riskiere, dass es in einer weiteren Runde ungemütlich bis gehässig wird.

 

Die Phase der Kommentkämpfe unter uns Menschen ist relativ kurz. „Streber“ ist kein Lob, keine Anerkennung für die Leistung eines Teams aus der eigenen Trainingsgruppe. Das Lob heißt in etwa: „Herzlichen Glückwunsch!“, die Antwort: „Danke“. Ein: „Was ich bin froh, dass bei dir auch mal was nicht klappt“, macht mich sprachlos.  Und bei der Schau? Der Sowieso ist „zwar mit V bewertet, aber hat einen Senkrücken, durchgetretene Pfoten, zu lange Ohren, eine Ringelrute…" und "Bei dem ist erst nach Jahren auf einer internationalen Ausstellung ein Zahnfehler aufgefallen, da hatte er schon 3 Würfe.“ „Der arme Hund wird ja auch mit 7 Monaten X Stunden am Tag trainiert, deshalb ist er schon so weit.“ Jetzt sollte ich, was sollte ich jetzt, hach, vielleicht bin ich doch noch nicht… Wann ist es noch Information, wann ist es unfair, ja neidisch?

 

Wollten wir nicht alle vor allem die Freude an unseren schönen Hunden teilen, uns gegenseitig unterstützen, so steht es doch sogar in der Satzung unseres Vereins?

 

Ganz wie in den Lehrfilmen über Hundeverhalten wird jetzt aus verständlichen Gründen kein Echtkampf gezeigt. Sicherlich: Es geht schmutziger und gemeiner. Meine Welpenzeit ist vorbei. Mit Respekt und guter Sozialisation kommt auch Abilene nicht immer durch. Das Leben ist kein Ponyhof. Es ist ein Hundeplatz.

 

Ich wünsche allen, dass sie wissen, wann es Zeit ist, die Runde zu verlassen oder Flagge zu zeigen, besser noch: dass sie selbst über eine gute Kinderstube verfügen und den Anstand wahren, auch im Interesse ihrer Hunde.