Vom Elend der Angst

 

Vor kurzen habe ich einen rational gut begründeten, launigen Text geschrieben über den älter werdenden Hund und hatte viele gute Ideen mitzuteilen. Nun stelle ich fest: So einfach ist es nicht. Vor knapp sieben Jahren ist meine Hoviline eingezogen, ein kleiner Buttjer, der mich inzwischen eingeholt hat. Jetzt sind wir beide in den mittleren Jahren und ökonomischer geworden. Sie läuft gelassen und gut erzogen neben mir, freut sich zu spielen,  und die Augen sind nicht mehr so klar. Eine Rehspur, die die unseren Weg kreuzt und drei Minuten alt ist, wird gecheckt und das Hinterherrennen für unrentabel erklärt. Kristallene Intelligenz heißt das und fußt auf Lebenserfahrung. Und ich, ich habe in sieben Jahren erfahren dürfen, wie viele schwierige Situationen ich ohne ihre Begleitung wohl nicht gemeistert hätte. Die vielen Tage, als nur die Spaziergänge mit ihr mir halfen, den Tag zu strukturieren, als ich meinen Beruf aufgeben musste, als die einzige Möglichkeit runter zu kommen ein weiterer, stundenlanger Gang mit dem Hund war. Dass die guten Zeiten jetzt sind, und was vorbei ist, das ist vorbei. Niemand kann so gut im Hier und Jetzt leben wie meine Hoviline. Nach sieben gemeinsamen Jahren gehe ich davon aus, dass mein Hund ein wesentlich sozialeres Wesen ist als ich und klarer kommuniziert, als ich es jemals tun kann. Wenn es ein Mensch-Hund-Team gibt, dann nur, weil der Hund es ist, der sich einstellt und reichlich Grob- und Unklarheiten verzeiht. Unsere Lebenserwartung ist unterschiedlich, mit einem Zollstock in ein 80 cm und 13 cm Stück gebrochen lässt es sich auf schockierende weise sichtbar machen. Demnächst überholt sie mich und wird wahrscheinlich lange vor mir sterben. Im Herbst letzten Jahres wurden vier kleine Tumore entfernt, und zwei davon waren maligne. Als sie im Winter nach der Läufigkeit hoffnungslos schlapp war und am liebsten nach 50m Gassigang umgekehrt wäre … Es hilft ja nicht, es nicht wissen zu wollen. Die Tierärztin unkte was von Herzerkrankung, wie sie ja bei großen Hunden „gerne mal“ auftritt. Im Urlaub ging es ihr langsam besser, es waren auch alle Laborwerte in Ordnung. Die Hoviline hat die Aufsicht wieder übernommen, erzieht die Tochter nach Kräften, passt auf, dass keinhund der kleinen Prinzessin zu nahe kommt, und freut sich über die Zeit mit mir alleine ohne die Range, die nach dem Wurf im letzten Jahr bei uns blieb. Aber auch das mindert nicht die Angst irgendwann ohne diesen meinen liebsten Hund sein zu müssen.

 

Was wäre das Leben einfacher, wenn ich die Lektion mit dem Hier und Jetzt tatsächlich begriffen hätte, ein für allemal verstanden.
Mir blieben die Jubelrufe im Hals stecken, als eine Bekannte in den sozialen Medien einstellt, wie ihr alter Hund sie jetzt mit Rolli noch weiter begleiten kann. Es ist ein langer Abschied. Ich wollte meiner Maus schon keine Chemotherapie zumuten, die Kunstnägel zum Schutz der Pfoten beim Überköten, ja, die würde ich auch aufkleben. Wenn ein zittriger 13-jähriger Hovawart noch zögernd einige Schritte tut, dann kann ich nicht einstimmen, dass es ihm hervorragend geht. Ich sehe, dass er immer noch so charmant und liebenswert ist wie all die Jahre zuvor, sich für die spielenden jüngeren Hunde interessiert, sich ihnen zuwendet. Er sieht zufrieden aus. Auch er ist, wie es meine Freundin Inga ausdrückt, in der Nachspielzeit. Bei ihrem Hund ist das einzige noch gesunde Organ im Bauch die Milz. Gibt es eine Diät für Hunde mit Nieren- und Lebererkrankung, die zu allem Überfluss eine Darmentzündung dazu bekommen und regelmäßig Antibiotika benötigen, und welche Schmerzmittel helfen bei Arthrose ohne dem Hund zu schaden?

 

Mit der alten Hündin einer Bekannten spielte ich vorsichtig, damit sie nicht umfällt beim Zergeln, weil sie sich darüber freut und nach getanem Tagewerk vom 3 Minuten glücklich vom Hundeplatz geht und Leckerchen abstaubt von allen Anwesenden. Eines Morgen im letzten Jahr konnte sie nicht mehr stehen, Schlaganfall und das war’s. Manchmal werden dem Menschen die schwierigen Entscheidungen abgenommen.

 

Und wenn es gar nicht mehr geht vor lauter Angst, dann denke ich nicht einmal an die Checkliste, wann ein Hund ein Leben führt, das nicht mehr lebenswert ist, und ich sie euthanisieren lassen muss oder zumindest müsste, wenn ich ein verantwortungsbewusster Mensch bin. Wenn es gar nicht mehr geht vor lauter Angst, dann habe ich eventuell das Glück, dass meine Hoviline noch einmal mit mir spazieren geht, und ich mich dann wieder beruhigen kann, zumindest für eine Weile.