Mr. Darcy

Hundezucht ist ein seltsames Hobby, vor allem dann, wenn man noch keinen einzigen Wurf hatte. Nach einem sehr lehrreichen und erfolglosen Versuch der hundlichen Familienplanung im letzten Jahr und einem Aufschieben wegen eines unaufschiebbaren Klinikaufenthaltes der Hundeführerin sind wir mal wieder am Start. Die Zahl der überprüften Pedigrees ist weiter gewachsen, diesmal allerdings nur für einen zweiten und dritten Deckrüden. Unsere Nr. 1 steht schon lange fest. Es soll natürlich die Nummer 1 der Hoviline sein, denn, was soll ich sagen: Der Besuch beim Herrn der Schöpfung war ein Erlebnis. Er findet sie großartig und kann sie kaum aus den Augen lassen, sie findet es hüftschwenkend fantastisch, so angebetet zu werden. Dann rennt sie noch mal große Achten, findet das Kekslager in der Garage, knabbert die hölzerne Deko-Tulpe im Flur der Gastgeber an, war auch schon im Keller, und irgendwann liegt sie dann auf dem Rasen und Mr. Charming steht daneben und himmelt sie weiter an. Am Folgetag trotten die beiden durch den Wald wie ein altes Ehepaar, und wir sind uns einig, dass es sicher ganz wunderbare Welpen werden und die beiden sich so prima ergänzen, und ach, was ist das schön, wenn sich auch die Besitzer der Hunde sympathisch sind. Sollte Mr. Right sich - zum ersten Mal im Leben - krank melden, sind noch zwei weitere Kerle im Stand by. Sicher ist sicher, diesmal soll es klappen.

Der Deckantrag, er wird geprüft. Gründlich. Der Nachweis der letzten Züchterfortbildung noch einmal eingereicht, die neuen Ergebnisse der Blutuntersuchung schicke ich vorsichtshalber vor Ende der Frist ein. Parallel wird der schwarze Blitz auf drahtig abgespeckt und geht joggen für die Kondition. Seine Blutwerte sind aktuell, aber die Deckrüdenbesitzerin (im Folgenden DB genannt) ist supergründlich und lässt ihn nochmals untersuchen, alles: Blutuntersuchung, Check up beim Tierarzt, Spülung des Geschlechtsteils (Ja doch!) und bakteriologischer Abstrich, alles prima. Auch die Genehmigung der Zuchtleitung liegt inzwischen vor.

 

Die Dame kriegt seit Wochen einen Vitamin- und Mineralstoffcocktail zusätzlich ins Futter, das soll sie bis zur Hälfte der Tragzeit bekommen. Ab der 5. Trächtigkeitswoche soll sie dann ein weiteres Präparat erhalten, das steht auch schon im Vorratsraum. Die Pipistellen auf den Spaziergängen werden immer intensiver bearbeitet, stundenlang geprüft und aufgefrischt. Beim regelmäßigen Training reagiert sie weiter mit Begeisterung, hört aber vor allem „Geräusch!“ und macht entsprechend „Irgendwas“. Hormon und Hirn schließen sich gegenseitig aus, zumindest zeitweise. Dann zwei Wochen vor der Zeit sind die ersten Blutstropfen zu finden. Madame ist überdreht und spielt die Kerle an, die plötzlich wie Pilze nach einem Sommerregen aus dem Boden wachsen, wenn wir spazieren gehen. Ich stehe also früher auf und wir gehen auf noch einsameren Wegen. Der Zaun ist neu, und der Rigdeback des Nachbarn steht winselnd dahinter.

 

Ich höre so oft, dass ich ganz ruhig bleiben soll, den Hunden genügend Zeit geben, gaanz ruhig bleiben soll, dass ich immer zappeliger werde. Bisher ist klar, dass die beiden das ohne Equipment der Liga Raumschiff Enterprise hinkriegen. Wenn nicht, wer könnte dann schlau genug sein? Die DB sagt, es gibt Filme auf youtube, und zwei davon mit natürlichem Deckakt gucke ich mir an. Bei einem sind die Hunde auf einem schollig gefrorenen Acker zugange, fallen gemeinsam und ineinander  verhakt um. Die Hündin keift ihn an, bis beide wieder auf den Füßen stehen. Deckakt Nummer zwei ist natürlich mit drei Menschen, die das „Hängen“ der Hunde sichern. Links und rechts an den Köpfen, einer an den vier Hinterbeinen.  Beim Züchterseminar des VDH berichtete die Vortragende von einem Teppich, auf den die Hündin platziert wurde, der Deckrüde, Champion der Crufts, bekam ein besonderes Halsband und war auf die Kombination dieser Utensilien konditioniert. Zack, fertig. „Überlegen Sie sich vorher, wie weit sie gehen wollen, und sprechen Sie das mit dem Halter des Zuchtpartners ab.“

 

Zu Beginn der zweiten Woche sind wir beim Tierarzt. Die Hoviline wird gynäkologisch untersucht und die Scheide ist „klein“. Ja, und? Na ja, wenn der Rüde „so einen Kolben hat“. OMG. Irgendwann müsse auch unser Zuchtverein einsehen, wie sinnvoll die künstliche Befruchtung sein kann, sagt der Tierarzt. Von anderer Stelle ist zu hören, dass noch vor Jahren Hündinnen in Narkose „geweitet“ wurden. Mich gruselt es. Was um Himmels Willen …  DAS ist völliger Schwachsinn, das Genitalgewebe so elastisch dass 63 Tage später die Welpen geboren werden können. Vorher weiten für „allzeit bereit“, und dann …

 

Meine Freundin lacht und sagt, sie habe noch nie gehört, dass es an der Penisgröße des Rüden gescheitert wäre. Alors, die Hündin ist gesund, der Hormonwert im Keller, in zwei Tagen sind wir wieder einbestellt und weiter kann niemand planen.

Wir legen alle Termine für die kommende Woche um, Hotelzimmer könnten wir kurzfristig buchen. Über hundliche Penisgrößen denke ich nicht weiter nach.

Auch zwei Tage später, Tag 9 der Läufigkeit, an einem Samstag, ist der Hormonwert erst knapp über der Nachweisgrenze und wir haben noch viel, viel Zeit, sagt der Tierarzt.

 

Am Sonntagmorgen hängt die Hündin jaulend in der Leine und vermeldet auf den Hinterbeinen stehend, dass da vorne, gar nicht weit weg, ein Rüde sei, potent und, und …da will sie jetzt hin! Oh, das kommt ein bisschen plötzlich, hatten wir nicht eben noch ganz viel Zeit? Wir telefonieren mit der Zuchtwartin, und packen unsere Sachen, denn das Foto der Vagina (Ja, auch das wird per WhatsApp durch Deutschland geschickt!) sieht aus, als wäre es eilig...

 

Eine Stunde brauchen wir, um im Auto zu sitzen. Zwei Staus, eine Vollsperrung und neun Stunden Fahrzeit später sind wir da: Es hätten vier Stunden sein sollen, viereinhalb. Das Ende der Sommerferien in NRW hatten wir nicht eingeplant.

 

Die Hunde finden sich spätabends ausgesprochen interessant, aber es reicht nicht. Was soll`s, wir haben ja noch ganz viel Zeit, morgen früh noch mal ein Versuch und dann lassen wir den Progesteronwert noch mal kontrollieren, wir hatten ja noch ganz viel Zeit, nicht , dass wir zu früh sind. Einen Termin in der Tierarztpraxis bekommen wir nicht, und am Ende der Warteschlange ist die Tierärztin täppisch genug, die Hündin mittels Untersuchung zum Aufschreien zu bringen. Und zwei Stunden später wartet ein niederschmetterndes Ergebnis. Der Wert ist hoch, sehr hoch, der Eisprung schon vorbei, und die Tierärztin vertröstet uns auf den nächsten Zyklus. Allenfalls 50% Chance hätten wir noch.

 

Weil die Hündin noch steht, probieren wir weiter. Die Hoviline findet es großartig, bis es ernst wird, dann taucht sie ab, flirtet weiter, taucht ab. Pause, nächster Versuch, Pause… Wir haben uns mittels Filmchen und WA-Chats beraten lassen, ach Hilfsangebote. „Kommt vorbei, wenn ihr Hilfe braucht. Ich kann nicht kommen, muss morgen um 4 raus.“ Ich gehe mit der Kleinen kurz spazieren, dann setze ich mich ins Auto und weine. So sehr hatte ich mir die Welpen gewünscht, dieses Mal zu spät gefahren. Die DB kommt, wollen wir los zu „Frau Doktor Popp“? Schließlich haben wir nichts zu verlieren. Wir bestellen die Pizza ab, die wir 9 Stunden nach dem Frühstück bestellt haben, mittags gab es für mich ein Glas Weißwein für die Nerven. Die anderen haben sich an Kaffee gehalten. Wir packen die Hunde in die Autos und fahren über die Autobahn in den Sonnenuntergang, anderthalb Stunden nach Westen und treffen uns, um mit Assistenz das Ganze auf einem Bolzplatz neben einem Maisfeld zu einen guten Ende zu bringen. Die Hündin bleibt an der Leine, der Rüde läuft frei, ich halte sie am Kopf, die erfahrene Assistenz kniet neben der Hinterhand, bereit dem Herrn der Schöpfung zu assistieren und die Dame am Abtauchen zu hindern. Beide steigen aus. So hatten sie sich das nicht vorgestellt. Die Hündin steht da, als hätte ich sie geschlagen, der Rüde leckt ihr die Ohren und will nicht auf eine Partnerin steigen, die nicht will. Und einführen lassen will er sich auch nicht, das macht der Kerl klar, dass die Finger DA weg zu bleiben haben. Also, so wird das nichts. Die Uhr tickt, und Doktor Popp hat noch einen eigenen decksicheren Rüden im Angebot, der nicht von der Zuchtleitung genehmigt wurde. Das auch nur anzudenken bringt die angerufenen Zuchtwarte deutlich in Wallung. Und ich bin froh, dass es nicht in Frage kommt. Auf der Rückfahrt sage ich Platz 2 und 3 ab. Wir werden nicht mehr kommen. Um 23.00 fahren wir bei McDonald`s vorbei. Ein echter Notfall. Und irgendwo da entgleist es. Am Morgen fahren wir zum Tschüs sagen noch mal bei Mr. Charming und seiner Familie vorbei. Sollen die beiden noch ein bisschen Spaß haben, es wird ja doch nichts mehr. Und die Dame flirtet, steht, dreht die Rute einladend zur Seite, er steigt auf, sie taucht ab und alles landet im Gras. Er ist jetzt durch und ich telefoniere den anderen Deckrüdenbesitzern hinterher, wir fahren sogar noch zu Rüde Nr. 2. Da ist es endgültig vorbei. Die Hoviline will nicht mehr, und auch wir sind fertig. Was hätten wir anders machen können?

 

Einen erfahrenen Rüden aussuchen, sagt die Zuchtwartin. Oder gleich nach dem ersten Versuch weiter fahren. Nicht so weit zum Rüden fahren, sagt der Tierarzt. Überhaupt sei es genau der richtige Zeitpunkt gewesen und er ärgert sich über die rigorose Aussage der Kollegin, die keine Rücksprache mit ihm gehalten hat. Nein, gegen einen weiteren Versuch spreche nichts. Es komme auf den Gesundheitszustand der Hündin an, und der sei gut.

 

Pünktlich sieben Monate später ist Corona und bundesweiter Lockdown. Wir sind Besitzer, die zur Hochrisikogruppe gehören und sich am besten nicht von zuhause weg bewegen sollen. Die Zuchtleitung bittet, die Wurfplanungen zu überdenken und auch die ehrenamtlichen Zuchtwarte nicht unnötigen Risiken auszusetzen. Und so steht die Dame an Tag 12 wieder mal am Zaun, und glücklicherweise rafft der Ridgeback nix, während wir die Hoviline zügig einsammeln. Der Braune versteht die Welt erst eine Woche später, als er schon lange als völlig uninteressant eingestuft wird.

 

Fortsetzung folgt? Keine Ahnung.

 

Wir hatten noch mal geguckt, nach passenden Deckrüden, die näher dran wohnen, bekommen einen uns passenden nicht genehmigt. DA war jemand anders einen halben Tag schneller. Wir hören uns noch einmal an, dass wir einen handfesteren Rüden brauchen werden, der unsere Hündin richtig fest hält. Vielleicht sind wir zu anspruchsvoll, zu blauäugig, nicht robust genug. Das Zeitfenster, in dem unsere Hündin Interesse an Rüden zeigt (frisch am Ridgeback des Nachbarn ausgetestet) scheint recht kurz zu sein. Vielleicht mag die Hoviline einfach nicht, vielleicht … Aktuell ist der Plan, nach einem gründlichen Check up, noch einmal einen Deckschein zu beantragen für den Herbst und die Hoviline, und den schwarzen Blitz. Und dann werden wir eine Hündin aus dem Wurf behalten. Das wäre schön.