Der tut nix!
Wir hatten vor der Anschaffung der Hoviline keine Hundeerfahrung - außer mit den drei Zwergpudeln in meiner Kinder- und Jugendzeit, mit denen meine Familie ab dem Kauf von Nr.1 bei Karstadt alles
falsch gemacht hat, was geht, und mein Mann mit diversen verfettenden „Jagd“-Hunden seiner Tante, die irgendwann den Herzkasper kriegten und durch einen neuen ersetzt wurden, der auch mäkelte und
nicht fressen wollte, bis er (oder sie) irgendwann platzte.
Die Hoviline ist inzwischen 5 Jahre alt. Bisher hat sie all unsere Anstrengungen überlebt und ist weiterhin normgewichtig. Allenfalls hat sie zu viel Stress mit Agility, Mantrailing, Obedience
und den Anforderungen des Alltags, sprich: immerwährendem gutem Benehmen. Aber noch hält sie sich…
Nur mich hat grade der Frust gepackt. Ich lese zu viel Hundeliteratur, informiere mich in sozialen Netzwerken über Hundegeschirre und die Auswirkungen eines Norwegergeschirrs auf die Beweglichkeit der hündischen Schulter, lese zu viel Gansloßer und Strodtbeck, Meyer-Zentek und Rückert über die richtige Ernährung und die vernünftigen Gründe für eine frühe Kastration (kurz gefasst: keine). Zum richtigen Spielen mit dem Hund habe ich mir jetzt noch einmal, ja tatsächlich schon wieder, ein Seminar gegönnt. Und dann noch utube mit zahlreichen Videos über intelligenten kleinschrittigen Aufbau mancher Übung aus dem Obedience … Ich lese in Internetforen und freu mich über Leute, die schon den dritten, vierten, fünften Hund solide aufbauen und ausbilden, und von denen ich mir was abgucken kann. So vieles lässt sich mit meiner klugen, lernbegeisterten Hoviline umsetzen und manchmal schäme ich mich, ihr gelegentlich das Leben mit unklaren Anweisungen schwer gemacht zu haben. Alles gut. Meist läuft sie grinsend neben mir und wartet auf meine neuen, guten Ideen, eine lustige gemeinsame Aktion. Wie nett war es in den Semesterferien, als mein sehr sportlicher Sohn sich mit ihr Wettrennen zur außer Sicht ausgelegten Beißwurst lieferte: „Auf die Plätze, fertig, Los!“ So lustig ist es mit mir lahmer Ente natürlich nicht. Aber zergeln kann ich gut. Warum also mein Frust? Mein Agilitytrainer lässt seinen übermäßig ängstlichen Jungrüden mit knapp 14 Monaten kastrieren. Dann ist er im Sport „nicht abgelenkt von seinen Hormonen“ und denen läufiger Hündinnen. Ein ängstliches Tierchen, das knurrend zurück weicht, wenn ich allen Hunden Wassernäpfe hinstelle vor dem Training. Nein, ich habe ihn nicht angeguckt, so schlau war ich schon. Ach, was für ein Elend, ein bisschen Testosteron hätt der Kleine noch gut gebrauchen können.
Mein Kollege beim Mantrailing, der seine Hündin als Partnerschaftsersatz erlebt und circa 18 Halsbänder besitzt für sein „Strandmädchen“, der hat auch ein Geschirr, auf dem steht „Suchhund“. Denn das ist sie ja. Wär schön, wenn der Suchhund nicht so röcheln müsste, weil das Norweger-Geschirr mit Logo-Klett nicht nur die Schulter stört, sondern bei tiefer Nase auch die Atemwege quetscht.
Ein Hund im weiteren Bekanntenkreis, der sich durch falsch verstandenes Barfen erst eine Nierenschwäche eingehandelt hat und dann fast an einem Folsäuremangel verstorben ist. Die Symptome waren unter anderem massive Schwäche und Gewichtsverlust und Geschwüre am ganzen Körper. Der Hund war sterbenskrank, erhielt Spritzen mit dem fehlenden Vitamin. An Trockenfutter führe jetzt kein Weg vorbei, habe die Tierärztin gesagt. Ja, Fleisch ist ein Stück Lebenskraft. Aber eben nur ein Stück. Der Hund ist Carni-Omnivore.
Also: Was ist da los, dass Leute, die glaubhaft versichern, ihren Hund sehr gerne zu haben und einen Haufen Geld für ihr Tier ausgeben, gleichzeitig so betriebsblind sind? Warum lesen die Leute nicht? Warum lassen sie sich keinen Futterplan zusammenstellen? Wieso hilft eine Bernsteinkette gegen Zecken, wenn sie doch schon beim zahnenden Baby nichts gebracht hat? Welche Zugkräfte wirken auf die Halswirbelsäule , wenn der junge 30 kg –Rüde am Halsband mit Karacho in die Schlepp- oder die Flexileine rast? Wenn Masse mal Beschleunigung gerade nicht zu rechnen ist und der Physikunterricht schon lange zurück liegt, dann spürt man die Antwort in der eigenen Schulter. Braucht man einen zweiten und dritten Hund, wenn man keinen davon arbeitet und der erste schon nicht manierlich erzogen werden konnte? Warum ist es eine Glaubensfrage, einen großen Hund vor dem sportlichen Einsatz, etwa im Agility, die Hüfte (und die Lendenwirbelsäule) röntgen zu lassen? Wieso glaubt eine promovierte Biochemikerin, dass es reicht, wenn man sieht, dass der Hund ein Hüftproblem hat? Und wenn es reichte, würde sie es sehen? Wer will das SEHEN?? Mal im Ernst, die Zuchtvereine drucken Artikel renommierter Autoren ab, die DVG hat in ihrer Vereinszeitschrift regelmäßig Artikel einer auf Sporthunde spezialisierten Tierärztin zu lesen, es gibt Bücher, Seminare. Ja, Cesar Millan ist umstritten, aber zu Recht schreibt er sinngemäß, bei einem jungen Delfin oder Nashorn gehe niemand davon, dass er das Tier anständig groß bekommen werde. Nur beim Hund sind wir alle geborene Experten.
Es gibt keine Entschuldigung für Dummheit oder Desinteresse. Denn am Geld liegt es (meistens) nicht. Wenn manch ein Hund nur reden könnte und uns mit einem „Der tut nix!“ entgegen käme, was müsste sich das andere Ende der Leine schämen.